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Mediagramm Nr. 25: ZKM Karlsruhe 19/1996
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Mediagramm Nr. 25: ZKM Karlsruhe Oktober 1996
Sonambiente
Klangkunst in Berlin


Ähnlich wie Augustinus, der schrieb, er wisse wohl, was die Zeit sei, solange man ihn nicht danach frage, dann aber könne er es nicht erklären, geht es einem bei der Frage nach der Klangkunst.

Seit den achtziger Jahren versammelt man unter diesem Begriff Klanginstallationen und -skulpturen, Radiostücke und andere Medienarbeiten, manche zählen auch lautpoetische Werke und Aktionen, Musikperformances und experimentelles Musiktheater hinzu. Es ist nun an der Zeit zu überdenken, ob das Subsumieren dieser künstlerischen Ausdrucksformen unter den Oberbegriff &"Klangkunst" ihren Ort im System der Künste angemessen spiegelt, oder ob wir es nur mit einem neuen, eigentlich leeren Etikett zu tun haben. Die Veranstalter des "Festivals für Hören und Sehen – Sonambiente", das die Akademie der Künste Berlin im Rahmen ihrer 300-Jahrfeier ausrichtete, waren sich in dieser Frage durchaus uneins. Helga de la Motte-Haber, die für den Katalog "Klangkunst" (Prestel-Verlag, München) verantwortlich zeichnet, unternahm es in ihrem programmatischen Einleitungstext, die Klangkunst als neue Gattung am Ausgang des 20. Jahrhunderts zu etablieren. Die von ihr schon seit etlichen Jahren erforschte Auflösung der Einzelkünste hin zu einer allgemeinen Kunst sieht sie in der Klangkunst endlich verwirklicht. Der Gattungsbegriff kommt dieser Kunst nicht nur wegen ihrer langen Vorgeschichte zu, die bis in das vergangene Jahrhundert zurückreicht, sondern ist hauptsächlich darin begründet, daß sie in der jüngeren Vergangenheit ein ganzes Netz von internen Bezügen und Verweisen ausgebildet hat. Grundlegend ist die Veränderung des Verhältnisses von Kunst und Publikum. Allen Formen der Klangkunst ist gemein, daß das Kunstwerk nicht weiter dem Betrachter fremd gegenüber steht, sondern sich wesentlich im Prozeß des Erlebens selbst ereignet, oftmals erst durch den Betrachter strukturiert und zeitlich organisiert wird.

Dem widersprach Matthias Osterwold, Mitglied der künstlerischen Leitung, während eines Podiumsgespräches. Zwar seien die Arbeiten der Klangkunst stets intermedial und ließen sich nicht der klassizistischen Kunstphilosophie folgend in Zeit- oder Raumkünste einteilen, doch beschriebe die Klangkunst eher ein offenes Feld, denn eine klar umrissene Kunstform. Die Ausprägung von Methodenkanon und Geschichte eigne sich weniger für die Klangkunst insgesamt, als vielmehr für ihre einzelnen Sparten. Daß diese oft nicht eindeutig voneinander zu trennen sind, korrespondiere mit der Neigung vieler Klangkünstler, sich nicht auf eine Sparte festzulegen, sondern zwischen verschiedenen zu pendeln. In diesem Zusammenhang bemerkenswert waren die Statements der am Round Table vertretenen Künstler, die, wie etwa Christina Kubisch, die Eingrenzung ihrer Arbeit auf Klangkunst teils vehement ablehnten. Den Klang verstanden sie als nur ein Medium unter vielen, derer sie sich bedienen, und stützten so die Diagnose Helga de la Motte-Habers von der Auflösung der Künste. Andererseits erschien vor diesem Hintergrund die Zusammenfassung künstlerischer Arbeiten unter dem Primat des Akustischen merkwürdig beliebig. Es scheint, als wäre die Klangkunst eine Erfindung der interdisziplinär expandierenden Musikwissenschaft, die sich nach der Regression klassischen Komponierens neue Gegenstände zu erschließen versucht. Im Gegensatz zu der Ausstellung "Für Augen und Ohren", die Rene Block 1980 für die Akademie zusammengetragen hatte, verzichtete "Sonambiente" bewußt auf die Darstellung historischer Bezüge, sondern präsentierte eine üppige Bestandsaufnahme gegenwärtiger Tendenzen. Über 70 Künstler waren eingeladen worden, an einer Vielzahl von Orten in Berlin Mitte, die in Kürze verschwunden oder völlig umgestaltet sein würden, Arbeiten zu installieren.

Eine der wenigen Installationen, die vorgefundene Raumsituationen tatsächlich aufgriffen, war "Hot House" von Ron Kuivilla. Des Künstlers Interesse an Orten, an denen der Aufenthalt für Menschen kaum zu ertragen ist, ließ ihn den gläsernen Dachstuhl der Akademie am Pariser Platz entdecken, in dem im Sommer Temperaturen bis zu 50°C herrschen. Hier stellte der Künstler Rotoren auf, die verschiedene Frequenzen um 40 kHz aussenden. Es entstehen räumliche Bewegungsmuster, Überlagerungen und Dopplereffekte, die für den Menschen unhörbar bleiben. Eine Installation für Grillen und Insekten, die der Besucher nur durch die elektronische Transposition des Ultraschalls erleben kann, wenn er über Lautsprecher die "Grillen- Ohr-Version" des Dachstuhls hört.

Im gleichen Gebäude ließ Terry Fox in "The School of Velocity" an sechs Stellen eines großzügigen, hellen Raumes sehr langsam Wasser von der Decke tropfen, das auf verschiedene Gegenstände am Boden traf und so unterschiedliche Klänge hervorbrachte. Ein Schwamm und eine Grünpflanze nahmen die Tropfen lautlos auf, evozierten allenfalls die Vorstellung eines unhörbar leisen Klanges, während in verschiedenen Schüsseln und Gläsern charakteristische Tropfgeräusche entstanden und auf einer heißen Herdplatte das Wasser zischend verdampfte. Den Raum erfüllte so ein leiser, langsam changierender Rhythmus, dessen vollständige Wahrnehmung dem Ohr wiederum verborgen blieb. Viele Installationen des Festivals stellten weniger klingende, begehbare Skulpturen dar, als vielmehr raumgreifende Musikinstrumente, deren Klangerzeugung irritierenden Reiz besitzt. Während Günter Demnigs "Drei Schwarze Türme" bereits wegen ihrer massiven Erscheinung für sich einnehmen, auch wenn sie nur einen sehr tiefen neuntönigen Cluster erzeugen, der in den Infraschall hineinspielt, verlangen andere Skulpturen nach individuellen Kompositionen. Martin Riches löst dieses Problem, in dem er seit Jahren bei verschiedenen Komponisten Werke für seine Playingmachines in Auftrag gibt, Paul Fuchs spielte zusammen mit Zoro Babel auf seinen Ballastseiten-Instrumenten.

Bei Ulrich Ellers "Im Kreis der Trommeln" jedoch verliert das Instrumentarium mit der Komposition, die es wiedergibt. Eller stattete über 40 Snaredrums mit Lautsprechern aus, wobei die Lautsprechermembran auf der unteren Trommelmembran zu liegen kam. Von den Lautsprechern abgestrahlte Impulsketten konnten so die Trommeln "spielen". Statt allerdings interessante musikalische Strukturen zu entwickeln, beschränkte sich Eller auf eine Folge räumlich verteilter crescendierender und decrescendierender Wirbel. Ähnlich die Situation bei Trimpins "Liquid Percussion", einer Anordnung von rund 100 Membranen und Schalen, die mittels Tropfen aus elektrisch gesteuerten Wasserventilen gespielt werden. Hier können die Besucher über eine Midi-Tastatur das Geschehen selbst bestimmen oder per Knopfdruck ein Sequenzer-File abrufen, das im Rahmen des effekthaschend Konventionellen bleibt. Solche Beispiele machen deutlich, wie schmal der Grat ist, den die Klangkunst zwischen Musik und bildender Kunst beschreitet und wie leicht ihre Werke scheitern, werden sie denn an den Kriterien beider gemessen.

Volker Straebel Der Autor studiert Musikwissenschaft an der TU Berlin und arbeitet als freier Journalist.


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