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TIP 17/96
Zitty 17/96
Mediagramm Nr. 25: ZKM Karlsruhe 19/1996
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TIP 17/96
WINDHARFEN UND HIGH-TECH
Kunst als unkalkulierbares Risiko: Während des Klangfestivals "Sonambiente" lauern Überraschungen für Ohren und Augen überall in der Stadt

Aus China stammt die Fuhre Bambusrohre, die sich Yufen Quin in das ehemalige Postfuhramt an der Oranienburger Straße schleppen ließ. Die chinesische Künstlerin, die zu den über vierzig internationalen Teilnehmern von "sonambiente – festival für hören und sehen" gehört, hat früh mit dem Aufbau in der Kuppelhalle des Gründerzeitbaus begonnen. Eine Erinnerung an die fragile Architektur der Pagoden bewegt sie; leicht wie ein Floß wirkt die achteckige Grundrißfigur, die sie aus Bambusrohren in eine Fläche aus Sand gelegt hat. Schwer scheinen dagegen die floral verzierten Gebäuderippen, die die prächtigen Kuppelwände gliedern. Die Bambusrohre sind tatsächlich ein Baustoff der Natur, der nicht nur in Hütten und Gerüsten, sondern auch in Musik-Instrumenten Verwendung findet. Durch diese gewachsenen Flöten und Säulen will Yufen Quin elektronisch bearbeitete Musik zirkulieren lassen: "Insel der Flöten" –, klingender Raum.

"Sonambiente" verspricht, ein ungewohntes akustisches Profil der Stadt zu entwerfen. Nicht nur, weil historische Gebäude wie das Postfuhramt, das ehemalige Staatsratsgebäude am Schloßplatz, die Parochialkirche und die Sophiensäle mit Tönen ausgelotet werden. Sondern vor allem, weil einige Klangforscher direkt den Stadtraum durchstreifen und vor Ort arbeiten wollen. Christian Marclay (New York) zum Beispiel plakatiert leeres Notenpapier auf U-Bahnhöfen, in Cafes und Clubs, um vielstimmige Notationen einzufangen. Im Herzen des Umbaus von Berlin, im Lustgarten und auf der Fischerinsel, plant Akio Suzuki Hörpunkte zu markieren, die das Herausfiltern bestimmter Geräusche erlauben. In Kyoto benutzte er letztes Jahr eine 600 Meter lange Eisenspirale, um den Klang eines Baches zu verstärken. Benoît Maubrey, der schon oft seine "Audio-Ballerinas" durch Berlin schweifen ließ, verwandelt die Uniformen einer Berliner Wachschutzfirma in "sprechende Kleider": über private und öffentliche Fernsprecher angerufen, geben sie über eingenähte Verstärker das Begehren des Anrufers nach außen. Da könnte es dann scheinen, als sei das System der Bewachung des Stadtraums außer Kontrolle geraten. Überhaupt ist "Sonambiente" mit seinen 25 Veranstaltungsorten für Klangskulpturen' Performances und Aufführungen kein Programm für Menschen, die den kontrollierten Überblick brauchen.

Von der "Welt als einem gigantischen Geräuschkonzept" sprach zuerst John Cage. Schon in den zwanziger Jahren hatte der Komponist Eric Satie über eine funktionelle Musik nachgedacht, die das Wohlbefinden des Menschen wie Licht und Wärme beeinflußen könnte. Doch aus der Utopie der akustischen Ausstattung des Alltags ist inzwischen ein kommerzielles Instrument geworden. Musikberieselung im Kaufhaus. Gegen das Ununterscheidbarwerden der akustischen Kulisse, gegen das Weg- und Überhören wendet sich die Klangkunst, die die Sinne wieder freispülen und den feinen Unterscheidungen zugänglich machen möchte.

Schon 1980 hat die Akademie der Künste, die im Rahmen ihrer 300-Jahr-Feier zu "Sonambiente" einlädt, dem Raum zwischen den überlieferten Kunstgattungen eine Ausstellung gewidmet. "Für Augen und Ohren" gilt heute als Intitialzündung der Klangkunst, weil dort ihre bisherige Geschichte gebündelt wurde und sich seitdem differenzierte Ausdrucksweisen entwickelt haben. Der "Handphone-Table" einer damals kaum bekannten Künstlerin ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, weil er den eigenen Körper als Verstärker einbezog: Wenn man die Ellenbogen auf den Tisch stützte, wurden die eigenen Arme zu Tonkanälen. Das war eine der frühen Installationen von Laurie Anderson, die diesmal mit einem "Wirbelwind von Liedern und Geschichten" zu den Stars der Ausstellung in den Akademieräumen am Pariser Platz zählt.

Wenn dort Stephan von Huene mechanische Hosenbeine nach einer Partitur gesprochener Texte auf dem Tisch tanzen läßt, wenn Ed Osborn elektrische Modelleisenbahnen in den Sophiensälen über ein Netz von Weichen jagt, die mit spezifischen Klängen verbunden sind, dann fühlt man sich an das "Mechanische Ballett" von Oskar Schlemmer, die Lautgedichte des Dadaisten Schwitters oder die konstruktivistische Maschinenkunst Tatlins erinnert. Denn schon die Dadaisten hatten wie Osborn entdeckt, daß sich die Gesellschaftsordnung in akustischen Signalen jenseits von Sprache und Musik abbilden ließ.

Die Erben der Maschinenkunst toben sich aus: Im Stadtbad Oderberger Straße haben die Unterwasser-Roboter des kanadischen Teams Vorn/Demers, – vormals für special effects in der Filmindustrie zuständig – ihren spektakulären Auftritt. In der Parochialkirche erzeugt Matt Heckert mit seinem mechanischen Klangorchester "Heavy Metal". Er nutzt Industriemüll, Stahltanks, alte Maschinen. Mit High-Tech gesteuerten Programmabläufen erzeugt er auf ihnen einen Abgesang auf ein Industriezeitalter, dessen Ruinen oft nur noch museal genutzt werden. Das hat sich geändert seit den Maschinenträumen Anfang des Jahrhunderts, die teils nur auf dem Papier bestanden und nicht verwirklicht werden konnten. Heute erzählt die Kunst oft die Geschichte einer Technik, deren ungeheuren Preis im Verbrauch der Ressourcen wir zwar inzwischen kennengelernt haben, die uns aber verglichen mit den glatten Benutzeroberflächen des High-Tech ungleich reicher an sinnlichen Erfahrungen erscheint.

Aber Klangkunst, das bedeutet nicht nur Action und Lärm. Sie ist vielmehr auch die Entdeckerin der Stille: "Die Frösche haben mir die Ohren geöffnet, von ihnen habe ich das Zuhören gelernt, das Sitzen in der Stille", erzählt Felix Hess, Physiker und Klangkünstler aus Holland, sein Schlüsselerlebnis. Klangkünstler hören das Gras wachsen, sie erfinden Instrumente für Regentropfen und Wind, Schneckenhäuser und Steine. Die äolische Installation, die Gordon Monahan in den Glockenturm der Parochialkirche einbaut, ist eine Fortsetzung der romantischen Äolsharfen, auch wenn die Berechnung und Lenkung der Luftströme, die durch die Unterschiede von Außen- und Innentemperatur entstehen, bisher als ein Spiel mit ungewissem Ausgang scheint. Man weiß eben nie im voraus, was passiert. Katrin Bettina Müller


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