Der Tagesspiegel 9.8.96
Frankfurter rundschau 14.8.96
Die Tageszeitung 14.8.96
Die Zeit 30.8.96
TIP 17/96
Zitty 17/96
Mediagramm Nr. 25: ZKM Karlsruhe 19/1996
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Die Zeit 30.8.96
Sonambiente – Klangkunstfest in Berlin

Frohes neues Ohr
Die Stadt der Zukunft kracht, stinkt und staubt wie die Hölle. Kein Durchkommen Unter den Linden, nichts als Scheppern, Pfeifen, Rattern. Klappern, Dröhnen rund ums Brandenburger Tor. Da ist der Flaneur, mitten im Mahlstrom knipsender Touristen, nicht gegen gewisse Fragen gefeit. Geht es hier zur Akademie der Künste oder zur Baustellenleitung? Ist das feine Zirpen eine Hörstörung, ein defektes Handy oder Teil einer raumgreifenden Klanginstallation? Dies ist eine Kabelrolle, was beweist das?

Mitten auf dem Pariser Platz steht für den, der sucht und findet, ein rostiges Rohr. Besser gesagt: drei herrliche rostige Rohre. Sie ragen in den Himmel wie die Kräne und balancieren oben einen beweglichen "Windzeiger". Unten, in praktischer Ohrhöhe, finden sich drei Löcher – wer da lange genug hineinlauscht, findet Erlösung von allen Übeln. Erst quietscht es nur ein bißchen aus der Höhe. Dann beginnt es zu rauschen und zu raunen wie von englischen Äolsharfen. Schließlich filtert das Ohr den infernalischen Stadtlärm einfach weg und folgt dem wundersam wandelbaren Tönen der Luft. "Den Raum, den Geist, den Klang, die Kraft, den Konsum, die Gewalt, das Licht, die Gravitation, die Hoffnung, den Abgrund, die Weisheit, den Schatten und sich selbst..." – all dies und mehr, sagt Paul Fuchs, soll der Mensch erfahren aus seiner neuen Klangskulptur "Il grande indicator". Großartige Worte, John Cage, der große alte Mann der Experimental-Klangkunst, wußte es noch eine Nummer kleiner, menschenfreundlicher: "Sie brauchen es nicht Musik zu nennen, wenn Ihnen das Wort weh tut!"

Als vor sechzehn Jahren in der West-Berliner Akademie der Künste die Ausstellung"Für Augen und Ohren" gezeigt wurde, paßte das janusköpfige Wundertier namens "Sichtbare Musik" noch in wenige geschlossene Räume. Seither ist es gewachsen, gediehen, kaum noch zu bändigen und nicht mehr leicht zu definieren. Klangkunst (das meint Kunst, die klingt – nicht zu verwechseln mit der altmodischen Tonkunst!) hat sich, dank der rasenden Entwicklung der elektronischen Medien den öffentlichen Raum erobert: Alles klingt. Die babylonische Vielfalt manipulierbarer Klänge, behaupten die Veranstalter von "Sonambiente", der neuen, großen Ausstellung zur 30O-Jahr-Feier der Akademie der Künste, sei ein Indiz für die Überschreitung der Gattungsgrenzen und "die Annäherung von Kunst und Leben": die Hoffnung auf das Kunstwerk der Zukunft. Daß man gegen Ende des 20. Jahrhunderts hauptsächlich mit den Augen hört, hat freilich eher dazu geführt, daß die meisten Menschen das Zuhören verlernt haben und nicht mehr fähig sind, etwas zu verrichten ohne stete Schallberieselung. Trägt da die Musikabteilung der Akademie mit ihrem ehrgeizig enzyklopädischen Avantgardeprojekt etwa die Eulen nach Athen? Das Konzept ist gewagt: Grenzüberschreitende Klangobjekte werden an Orten gezeigt, deren Grenzen augenblicklich in heller Auflösung sind; in denkmalgeschützten Ruinen, Abriß- und Sanierungshäusern in Berlins Mitte.

Wer schon immer mal den majestätischen Gründerzeitbau des alten Postfuhramts in der Oranienburger Straße von innen sehen wollte, der kann jetzt durch die unsichtbaren "akustischen" Türen von Andres Bossard hineinspazieren, kann drinnen auf dem bunten "Liquid Percussion"-Klavier von Trimpin spielen oder mit nackten Füßen in die stillen Kammern von Götz Lemberg treten. Im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, wo noch immer an den Glasmosaikwänden die Arbeiterklasse fröhlich den Hammer schwingt, brummen dunkel die schwarzen Klangtürme von Gunter Demnig, tobt und klagt die Videowand von Nam June Paik, wabern die bunten Designerklangwolken von Brian Eno. Und weiter wandert der Klang durch die Stadt an "weitere Orte" zu "weiteren Sonderaktionen", mit (unter anderem) Moss, Anderson, Sonami und Heckert und den "Altmeistern" Kagel, Rihm und Schnebel.

Über hundert Klangobjekte von über vierzig Künstlern aus aller Welt - da ist Neues und Altes, Albernes und Erhabenes, Lautes und Leises zu hören. Manches, wie der Niedrigfrequenzton, den Hans Gierschik in der Ruine der alten Franziskanerkirche versteckt hat, ist so leise, daß das Ohr lange braucht, bis es sich darauf eingestellt hat. Happy new ears! Plötzlich gewinnen sie sich, mitten im Verkehrsgebrause, die klösterliche Stille wieder. Man darf das ruhig auch Musik nennen.
Eleonore Büning


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