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Wie verwandelt man die Furcht, im dunklen Keller von feuchten Spinnenfingern angetastet zu werden, in eine Skulptur von barocker Üppigkeit? Wie hält man die Leichtigkeit fest, mit der ein frischer Wind plötzlich Dreck und Trübsal aus der Stadt blasen kann? Für Josefine Günschel, Meisterin der Verwandlung von Räumen, ein feines Problem. In den Nachtbogen-Projekten in der Oderberger Straße in Berlin tauchte sie das eine Mal in den Keller, um einen Pfeiler mit übereinandergehängten Gummihandschuhen vielfingrig auszustatten: Aus dem Ekel vor Berührung entstand eine Struktur, ähnlich den Grotten barocker Schloßgärten, die die Angst in Lust umschlagen ließ. Das nächste Mal ließ Günschel Gardinen in weitem Schwung aus den Fenstern eines Hauses wehen, und obwohl die Bewegung im Faltenwurf der weitvorgebauschten Vorhänge erstarrt war, glaubte man den Luftzug zu spüren. Diesmal bewegt sich wirklich etwas in ihrer Installation: etwas, das eigentlich per definitionem zur Unbeweglichkeit verurteilt ist: Fünf graue Säulen schwanken, von metallisch ächzenden Maschinen angestoßen, bis sie wieder in der Senkrechten zur Ruhe kommen. Kann man erst nicht genug von der Bewegung bekommen, wünscht man sich bald zurück zur Trägheit und beginnt zum ersten Mal als Glück zu empfinden, daß die Häuser nicht in der Stadt herumlaufen können.
Katrin-Bettina Müller
aus: Katrin-Bettina Müller, ›Galerie Notizen‹ in TIP Berliner Stadtmagazin 26/94


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