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singuhr hörgalerie in parochial
Als im Sommer 1992 kunst in parochial begann, die Parochialkirche in Berlin zuweilen in einen Kunst-Raum zu verwandeln, war es Robin Minard, der den Glockenraum und die zu ihm führenden Wendeltreppen zu Empfängern akustischer Signale machte. In seiner interaktiven Installation fingen Mikrofone, die außen am Glockenraum angebracht waren, Geräusche des Umfeldes ein Verkehrslärm, Glockenläuten, Flugzeuge, Vibrationen der U-Bahn, menschliche Laute
Ein Computer besorgte ihre artifizielle Bearbeitung, die zusammen mit den originalen Klängen, aber zeitversetzt, in das Treppenhaus des Turmes und das Turmgewölbe ausgestrahlt wurden.
Robin Minards Stationen akustische Installation nahm so gewissermaßen eine Idee vorweg, die wir nun zu einer kontinuierlichen Form der Erarbeitung und Präsentation akustischer Erkundungen entwickeln: ein Klanglaboratorium unterschiedlicher Handschriften, ein in den warmen Jahreszeiten permanent zur Verfügung stehender Raum für unbekannte wie auch für bereits erfahrene Klangkünstler/innen, ein Ort des Hörens, den es so in dieser Stadt nicht gibt. Die Architektur des Ausstellungsortes samt ihrer symbolischen Gegebenheiten wird das museale Moment des reinen Blicks, wie ihn manche Galerie bietet, verhindern.
Über reichlich zwei Jahrhunderte hatte ein Carillon schon einmal in festgelegten Zeitabständen akustische Signale von der Parochialkirche ins Zentrum Berlins gesandt, Singuhr-Kirche so hieß sie damals im Volksmund. Zudem wurden auf dem Carillon mit seinen 37 Glocken regelmäßig Konzerte gegeben. Mit seinen mechanischen Walzen für die damalige Zeit (1715 eingeweiht) ein beachtliches Stück Technik, erregte das Carillon einiges Aufsehen. Man erzählte sich (Sage), daß der Magistrat der Stadt so stolz gewesen sei, daß man den Uhrmacher, der dies Werk vollbrachte, blenden ließ, damit er kein zweites herstellen könnte. In den ersten Tagen des Rundfunks konnte man die Klänge des Carillon von Parochial zeitweise weltweit über Kurzwelle empfangen (keine Sage).
Heute sollen es Klangskulpturen, -installationen, -landschaften, -räume, -wege, -objekte etc. sein, die ihre Signale für Interessierte des Genres und eher zufällig vorbeihörende Besucher des Glockenraums aussenden.
Unter den zwei nicht mehr klingenden Glocken der Parochialkirche wird die hörgalerie - singuhr erstmals 1996 verschiedene akustische Arbeiten für diesen Raum vorstellen: Klanginstallationen und -objekte von Erwin Stache, Roswitha von den Driesch/Jens-Uwe Dyffort/Klaus Lebkücher, Gordon Monahan und Jutta Ravenna.
Der Berliner Komponist Franz Martin Olbrisch entwirft eigens für die Hörgalerie ein akustisches Wegeleitsystem. In seiner Doppelfunktion als Klangweg vom Haupteingang der Parochialkirche durch die Turmschnecke hinauf zum Glockenraum und als Medium der Dokumentation aller Klangprojekte umklammert es subtil diesen Ort in progress, wird selbst Infrastruktur in zeitlicher und räumlicher Dimension. Durch Eigenbewegungen der Besucher wird die 12kanalige Wandlermatrix aktiviert. Zudem soll vor dem Eingang der Parochialkirche, im Podewil-Foyer und in der U-Bahn-Station Klosterstraße, jeweils ein akustisches Logo des gesammelten Klangmaterials installiert werden.
Susanne Binas, Carsten Seiffarth
Singuhr Hörgalerie
Franz Martin Olbrisch, Akustisches Wegeleitsystem, permanente Klanginstallation, 1996
Erwin Stache, Klangkästen, Klangphänomene aus 27 schwarzen Kästen, 1996
Roswitha von den Driesch/Jens-Uwe Dyffort/Klaus Lebkücher, Lautsprecher mit Kupferdraht, 5 kg Kupfer und 300 Lautsprecher durch ein Netz gegossen und stehengelassen, 1996
Gordon Monahan, Spontaneously Harmonious in Certain Kinds of Weather, Experiment mit winderzeugten Klängen im Raum, 1996
Jutta Ravenna, DATEN KLANGFENSTER, Traum und Wahrheit: 10n Operationen in 10 Stunden für die Sicherheit einer Stadt, 1996
Gordon Monahan: "Spontaneously Harmonious in Certain Kinds of Weather" - ist eine
Kooperation von sonambiente mit der "singuhr - hoergalerie (kunt in
parochial)".
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