Nah und Fern wird am 25.8, 12 - 17 uhr in der friedrichsstadtkirche am gendarmenmarkt unter der regie von mauricio kagel aufgeführt


M a u r i c i o K a g e l


Nah und Fern, Radiostück für Glocken und Trompeten mit Hintergrund, 1993/94
Carillon: Arie Abbenes
Trompeten: Markus Stockhausen, Marco Blaauw, Andreas Adam, Achim Gorsch
Ton: Benedikt Bitzenhofer
Schnitt: Mechtild Austermann
Regie und musikalische Leitung: Mauricio Kagel
Redaktion: Klaus Schöning
Eine Produktion des Studios Akustische Kunst, WDR Köln

Im Juni 1993 habe ich in Holland auf Einladung von De Ysbreker, einer einzigartigen, der Neuen Musik und alten Gastronomie gewidmeten Einrichtung von Amsterdam, acht Melodien für Carillon uraufgeführt. Das Projekt nahm mich von Anfang an gefangen: Ich sollte unterschiedliche Stücke für die Carillons der Oude Kerk in Amsterdam und der DomKerk in Utrecht komponieren, die im gewohnten Viertelstundenrhythmus einige Monate erklingen würden. Als Vorbereitung meiner Arbeit habe ich die Glockentürme beider Kirchen wiederholt besucht, und so lernte ich allmählich den Nuancenreichtum dieser Instrumente kennen.

Glocken sind Urträger von akustischen Botschaften und dazu bestimmt, in einem großen Umkreis deutlich wahrgenommen zu werden; hierbei spielt der Abstand des Zuhörers zu den Klangquellen eine entscheidende Rolle. In den Tonaufnahmen und der anschließenden Montage meines radiophonischen Geläuts habe ich nun versucht, die Begriffsbestimmungen nah und fern so auszulegen, als könnte man tatsächlich Raum und Zeit durch Schallereignisse dehnen und schrumpfen lassen.

Auch Verkehrsgeräusche in der unmittelbaren Umgebung der DomKerk zu Utrecht, die Zahnrädermechanik des Carillons, fahrende Motorboote in den Grachten, das Begehen endloser Stein- und Holztreppen wurde berücksichtigt. Sie waren für die Rekonstruktion und Vertiefung der Erlebnisse ebenso erforderlich wie meine Trompetenmusik, die am Tag der Uraufführung zwischen den Glockensignalen ertönte.

Dank dieses Materials durfte ich danach im Studio Zusammenhänge erfinden, die man sonst beschreiben, aber kaum gleichzeitig hätte hören können. Um in solche Bereiche zwischen Erinnerung und Chimäre wie mit einer Klaviatur einzudringen, verzichtete ich in diesem Radiostück auf eine konkrete Handlung. Die Polyphonie der Musikeindrücke, ihre fast ›kubistische‹ Darstellung aus verschiedenen Standorten ist hier zugleich Hauptthema und die alles beherrschende Dramaturgie.

Mauricio Kagel




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