Stephan von Huene stellt in der Akademie der Künste am Pariser Platz aus.


S t e p h a n v o n H u e n e


Die Geschichte des Manns von Jüterbog beginnt mit meiner Skulptur Steptänzer (1967) und dem Skulpturenensemble Tischtänzer (1988/95). Der Steptänzer: Zwei spitze Schuhe mit ledernen Hosenbeinen bewegen sich unter lautem Geklapper auf einem hölzernen Kasten. Die Tischtänzer: Drei mit Herrenhosen bekleidete Figuren stehen auf halbhohen Sockeln, bewegen sich zu mehr oder minder deutlich zu verstehenden Reden von Politikern; eine unbekleidete Halbfigur auf einem etwas höheren Sockel bewegt sich zu Klängen von Bizets Perlenfischern und Händels Rinaldo.

Im Mann von Jüterbog kommt zur männlichen Halbfigur der Freund Reinhard Lettau hinzu, der mit der Füllfeder kurze Geschichten entwirft und notiert, in denen die Poesie und die Präzision einander auf die Probe stellen. "Seitliche Blicke" heißt der Anfang eines solchen Textes, den Lettau so nie zuende geschrieben hat. Fünfundeinhalb Sätze, die eine eigene Geschichte sind, die im Leeren endet – und das Bein der Skulptur bleibt mit diesem Ende in der Luft hängen, ehe es langsam dem Gesetz der Schwerkraft nachgibt.

Reinhard Lettau hat diese Sätze selbst vorgelesen. Die Skulptur setzt sie um in Bewegung und führt sie auf in der Sprache des mechanischen Halbkörpers. Jeder Klang ist numeriert, wird einer Bewegung zugeordnet. Durch dasAuf und Ab, das Schwenken und Drehen von Bein, Fuß und Hüfte wird die Sprache in Takt undTempo transferiert, werden die einzelnen Wörter akzentuiert, manchmal synchron und manchmal gegen den Strich des Textes. Die Trommel setzt zusätzliche Akzente, mal mit einem pathetischen Schlag, mal mit einem prasselnden Wirbel. Der Mann von Jüterbog: ein Solist.

Der Mann von Jüterbog ist nur die Hälfte der Wirklichkeit. Aber Reinhard Lettau und ich finden, unabhängig voneinander vereint in dieser Entdeckung, daß sie unterbewertet ist und das Hinschauen lohnt. "Bei abwärts gewendetem Kopf". Und dann auf den Sockel, damit "es sich lohnt, offen nach vorne zu blicken"!

Stephan von Huene




Home | Kunstwerke | Schauplätze | sonambiente live
Werk | Biografie | | Werkschauplatz