S t e p h a n v o n H u e n e
In den kombinatorischen Erfindungen seiner Werke, die das Visuelle, Akustische und Kinetische miteinander verbinden, formuliert Stephan von Huene eine künstlerische Recherche, in deren Zentrum die mannigfaltigen Formen menschlicher Äußerung stehen. Sprachliche Zeichen, die als Buchstabe oder Laut erscheinen, der Geräuschteppich des Alltäglichen oder das Vokabular vermeintlich spontaner gestischer Bewegung, all dies mündet in das komplexe Gefüge des Werkes. Im Laboratorium des Künstlers werden die Zeichen von ihrer profanen Bedeutung getrennt und in jenen frei zirkulierenden Klang der Kunst verwandelt, der abseits der denotativen Systeme auf den Basso continuo menschlicher Existenz gestimmt ist.

Schon in den frühen Zeichnungen und Assemblagen hat der Klang einen ersten visuellen Auftritt im Werk Stephan von Huenes. Buchstaben formieren sich zu Lautgebilden, in denen die Kollisionen widerstreitender zeichnerischer Energien gleichsam hörbar werden. Wie vorgezeichnet erscheint hier der Weg, den von Huenes Werk daraufhin verfolgt, und der in den zwischen 1964 und 1969 entstehenden ersten akustisch-kinetischen Skulpturen seinen Ausgang nimmt. In diesen vom Künstler selbst "The First Four" genannten Skulpturen verbindet sich die kalkulierte Präzision mechanischer Klangprozesse mit der Schaulust profaner Attraktion. In der surreal narrativen Kombinatorik dieser frühen Arbeiten hat die Experimentierfreudigkeit des Werkes ein erstes Bild gefunden.

In der Konfrontation mit der kühlen Tektonik der Text Tones ist es dann erstmals der Betrachter, der das Werk zum Klingen bringt. Seine Äußerungen und die von ihm verursachten Geräusche im Raum der Ausstellung werden in Klang übersetzt. Mit der 1975 entstehenden Trommel und den Glass Pipes rückt von Huene die visuelle Erscheinung seiner Arbeiten – parallel zu ihrer akustischen Prägung – immer näher an den ephemeren Rand der Immaterialität. Diese Werke spielen zwischen den Polen von Laut und Stille und visieren jenen Punkt der Leere, der erfüllt ist in verdichteter Konzentration.

Im Zusammenhang eines Hörspielexperiments entstanden und erstmals auf der ›documenta 8‹ gezeigt, vereint von Huene im Erweiterten Schwitters die Klangrecherchen der 70er und 80er Jahre mit den kinetischen Ansätzen seiner frühen Skulpturen. Die sprachlichen Partikel der Ursonate von Kurt Schwitters werden hier als synthetisierter Klang in der Form der Sonate konstruiert und von den Bewegungen einer Gliederpuppe zeichensetzend begleitet. In der Weiterentwicklung des motorischen Potentials der Gliederpuppe entstehen seit 1988 die Tischtänzer, die im vergangenen Jahr auf der Biennale in Venedig zu sehen waren.

Stephan von Huenes Werk schöpft aus den Reservoirs wissenschaftlicher Theorie ebenso wie aus den poetischen Arealen der Kulturen der Welt. DerEinsatz hochentwickelter technologischer Medien garantiert dabei die Zurücknahme des Subjektiven, setzte jenes Verschwinden des Autors ins Werk, das den artistischen Prozeß in der Kunst des 20. Jahrhunderts strukturiert. Von Huenes Werk scheint so jene Route zu beschreiben, die Heinrich von Kleist als Maxime der Kunst ausgegeben hat, wonach der Moment des Künstlerischen dann gegeben sei, "wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist" – und sich auf diesem Weg in den Klang der Kunst gewandelt hat.

Carsten Ahrens



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