Sonambiente filmreihe

Ein Filmprogramm zum Verhältnis von Bild und Ton in der Filmkunst als ein Schauplatz der Verschmelzung der Kunstgenres, zusammengestellt von Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu Klangstakkato und Bilderflut ein kurzer Exkurs über das Verhältnis von Klangkunst und Cinematographie

Im Oktober 1927 stürzte ein mittelmäßiger Hollywood-Film das Kino in eine echte Identitätskrise: The Jazz Singer, der erste Spielfilm mit synchronem Ton, spaltete das Publikum in zwei Lager, dessen eines zur Verteidigung des stummen Kulturfilms antrat, während das andere sich auf die Effekte und Neuerungen des Tonfilms stürzte. Bis heute gilt dieser Konflikt, wenn auch ökonomisch längst entschieden, als eine der Bruchstellen in der Entwicklung des modernen Kinos.

Mit der Erfindung des Filmtons vollzog sich eine Revolution der technischen und ästhetischen Möglichkeiten. Der industriell hergestellte Spielfilm forcierte nun die totale Überwältigung des Zuschauers, das völlige Aufgehen in der Leinwand/im Lautsprecher. Zugleich begannen die Avantgardisten, den Filmton experimentell einzusetzen und die Demarkationslinien zwischen Komposition, Geräuscherzeugung und Bildgestaltung zu durchbrechen. Einer der ersten deutschen Tonfilme, Walter Ruttmanns 55minütige Melodie der Welt (entstanden 1928/29), ist eine assoziative Studie über das Komponieren in Bildern und den kontrapunktischen Einsatz von Ton und Musik im Film.


Der Ton definiert sich hier nicht als Illustration des Bildes, sondern als eigenständige, gleichberechtigte Komponente des Kinos. Ruttmann habe "die einzig richtige Art einer künstlerischen Anwendung des Filmtons" gefunden, erklärte Wsewolod Pudowkin, der 1928 mit Eisenstein und Alexandrow ein Tonfilm-Manifest mit der Forderung nach einem ›Orchestralen Kontrapunkt‹ visueller und akustischer Bilder verfaßt hatte.

Nach seiner Melodie der Welt schuf Ton-Pionier Ruttmann den ersten völlig unsichtbaren Film: Weekend (1929/30). Er besteht ausschließlich aus Schwarzfilm – eine abstrakte Toncollage, vielleicht der einzige Film, der je in voller Länge im Radio gesendet wurde, und die Vorwegnahme der Musique Concrète Ende der 40er und 50er Jahre wie auch der Radiokunst-Events der 80er und 90er Jahre.

Im Gegensatz zu Ruttmann, der Ton und Bild nicht verschmelzen wollte, baute sein Zeitgenosse Oskar Fischinger seine Werke auf der Analogie von musikalischen Figuren und choreographierten Formen auf – auf der Suche nach der endgültigen Einheit von Bild- und Tonebene. Fischingers Studies No 5 bis No 13 (1930-34) sind effektvolle, rhythmische Bildkompositionen zur Musik von Brahms, Verdi, Rubinstein und Beethoven.

Nach der Erfindung des synthetischen Kinotons durch Rudolf Pfenninger begann Fischinger mit künstlichen Tönen zu arbeiten: die Tonspur seines Films Tönende Ornamente (1932) wurde mit der Hand gemalt und dann mit der Kamera als Lichtton aufgenommen; die gemalten Ornamente bestimmten so direkt den Klang der Tonspur. Noch konsequenter als Fischinger arbeiteten Norman McLaren und Len Lye daran, Farben, Formen und Musik ›kosmisch‹ zu verbinden. In Mony A Pickle (1938) kratzte McLaren nicht nur die Bildfenster, sondern auch die Tonspur des Films mit der Hand ins Negativ; er verfeinerte Fischingers Methode derart, daß es möglich wurde, nahezu jede beliebige Tonhöhe, verschiedene dynamische Abstufungen, Vibrati und Glissandi direkt auf der Tonspur grafisch zu verankern.

McLaren gelang "… die Schaffung einer neuen und gänzlich originalen Musik, die nie existiert hatte, die nie gehört worden war. Alle Töne werden möglich bis zu solchen, die von Musikinstrumenten gar nicht ausgedrückt werden können" (Norman McLaren in Ingo Petzkes Experimentalfilmhandbuch).


Die revolutionären Filme von Fischinger, Ruttmann, Lye und McLaren sind die direkten Vorfahren des verdichteten Musikfilms. Was als Experiment begann, findet heute seinen Niederschlag im täglichen Bilderbombardement der Musikvideos. Die herausragendsten Clips der letzten Jahre, etwa Zbigniew Rybczinskis Imagine (1988), Sledgehammer aus den Aardman-Studios (1986) oder die deliranten Clips von Jean-Paul Goude und Mondino (für Les Rita Mitsouko und Grace Jones) beziehen sich mit ihren spektakulären Trickeffekten und der rhythmischen Präzision bewußt auf die Bild/Ton-Avantgarde der 30er Jahre, deren Auseinandersetzung mit dem Filmton auch während und nach dem 2. Weltkrieg weitergeführt wurde.


Die entrückten Traumgebilde der Gebrüder Whitney etwa (Exercises 1941 bis 44, Yantra) nehmen die psychedelische Aufhebung der Grenzen von Hör- und Sehbewußtsein vorweg. Der erste Film des legendären Wiener Aktionisten Kurt Kren ist Versuch mit synthetischem Ton (1957). Peter Kubelkas Arnulf Rainer (1960) besteht ausschließlich aus schwarzen und weißen Kadern, die mit nervenzerfetzendem Noise-Sound unterlegt sind – ganz bewußt adaptierte Kubelka Anton von Weberns Auffassung, Töne als Zeitpunkte und die Pause als gleichrangig mit dem Ton zu betrachten, für die Leinwand, indem er den Ton als Einzelbild und die Projektionsgeschwindigkeit als Metrum für seine Bild-Partitur verwendete.

Vom Avantgardefilm zum Hollywood-Kino und seinen gloriosen Sound-Effekten: die Geschichte der Gestaltung von Sprache, Musik, von Tönen, Geräuschen und Klanggebilden ist eng mit der Geschichte der ›Siebten Kunst‹ verbunden.

Den seltsamen Beruf des ›Geräuschemachers‹ verdanken wir dem Tonfilm ebenso wie zahlreiche elektroakustische Geräte, die zunächst im Kino zu hören waren, bevor sie in den Studios der Beach Boys oder Stockhausens Einzug hielten: So feierte das erste, 1923 entwickelte elektronische Musikinstrument Theremin in den 50ern ein Comeback in diversen Science-fiction-Filmen – bevor es in Surf’in USA wiederentdeckt und sein Erfinder in dem Dokumentarfilm Theremin – an Electronic Odyssey gewürdigt wurde.

Umgekehrt bedient sich der Spielfilm nicht selten eines Ton- und Musikrepertoires, das direkt aus den Experimentierlabors der Avantgarde kommt, etwa bei Kubricks 2001 – A Space Odyssey (1965-68), für den György Ligeti Teile des Scores komponierte.

Und seit Spielbergs Der Weiße Hai weiß Hollywood, daß man mit neuartigen, immer kühneren Soundeffekten Kinos füllen kann. In diesem Sinne stellen die Multiplex-Kinopaläste der 90er Jahre in aufwendigen Digital-Trailern, die vor dem eigentlichen Film zu sehen sind, nicht bestimmte Filme, sondern die Möglichkeiten ihrer THX-Soundsysteme und damit die Ton-Effekte selbst in den Mittelpunkt…

Bady Minck/Alexander Dumreicher-Ivanceanu

Bady Minck, Filmemacherin, und Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Filmjournalist, leben in Wien und Luxemburg und konzipieren gemeinsam Filmreihen.


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