johannes rosenberg* Einer der wichtigsten Aspekte von Rosenbergs Arbeit war der Prozeß, in dem er die Violine aus dem Konzertsaal entfernte und in eine neue Umgebung verpflanzte. Manchmal manifestierte sich das bei Performances an exotischen Orten (z.B. am Meer, an der Autobahn, mit gefütterten Papageien, in einem Einkaufscenter, in einem Verschlag zum Schafscheren oder beim Warten auf einen Zug vor den Schienen im australischen Hinterland). Aber immer wurde das Instrument auf die traditionelle Art benutzt. Manchmal modifizierte er das Instrument, um es den Anforderungen eines spezifischen Ortes anzupassen. Zum Beispiel die Violine auf Rädern, mit drei Hälsen und zwei Kolben – geschaffen, um das australische Hinterland zu durchqueren; die Tromba-Matrosen-Violine – ein zweckgebundenes Instrument, das von den wechselnden Gezeiten gespielt werden soll; die Megaphon-Violine für Straßenperformances oder die aeolischen Windmühlen- und Segel-Violinen mit ihren klar definierten Funktionen.

Manchmal hatten Rosenbergs Instrumente wenig mit der Ästhetik der Violine zu tun, dafür aber mehr mit der Lösung von Alltagsproblemen. Das führte zur Kreation der ›Hummers‹ (der Summer) – einfache, langgezogene Tonbänder, die statt Pferdehaar in Violinbögen gespannt wurden; das Instrument wurde dann in die Luft geworfen wie ein Bumerang. Auf diese Weise war der Geigenspieler in der Lage, die kilometerlangen dumpfen Aufnahmen zu verwerten, die in seinem Studio herumlagen.

Auf seinen langen, geradezu besessenen Märschen im Hinterland (man fühlt sich sofort an Percy Grainger erinnert) wünschte sich Rosenberg manchmal musikalische Begleitung. Die Lösung erschien ihm als Geistesblitz und ermöglicht eine Einsicht in den Denkprozeß des Meisters. Die Violine (kopfüber gespielt und ohne gebogene Brücke) sollte der Bogen werden: Die Hunderte von Meilen durchgehender Zaundraht würden dagegen die Violine sein. Daß die ständige Stimmungsanpassung durch Drehen der Pfosten erfolgen sollte, versteht sich eigentlich von selbst. (Wenn der Musiker eine Wanderpause benötigte, würde üblicherweise der Wind aushelfen, und innerhalb von 20 Minuten könnte der Zaun von selbst singen.) Mit dieser Methode konnte Rosenberg fast 900 Kilometer ›Zaun‹-Musik für sich verbuchen. Doch der ›reale‹ Violinist erhielt vorerst keine Unterstützung für sein Kunstwerk.

"Wie können wir also real definieren, wenn wir bereits die kulturelle Umgebung verlassen haben, in der wir ›wirklich‹ sehen können? Wir sind des Realen müde geworden und von dem was das Reale geworden ist, das ›Werden‹, die Reproduktion dessen, was in den letzten 20 Jahren Kunst war, und der konsequente Rückkoppelungseffekt der endlosen Reproduktion. Möchten Sie sich übergeben? Ich glaube, das sollten wir. Wie der alte Wichser Baudrillard sagte: "Käse ist nicht mehr möglich, weil das Wort für Molkerei seine ›Bedeutung‹ verloren hat und ›Bedeutung‹ ist trockengemolken von Leuten wie mir.""

Sie mögen fragen, wieviele Rosenbergs es gibt. Und ich würde sagen, soviele wie nötig sind.

Kurzum: Rosenberg wollte den größten Teil West-, Zentral- und Nordostaustraliens mit selbstreproduzierenden Violinen bedecken. Er wollte einen Exorzismus der zeitgenössischen Kunst dirigieren – zu Tode reproduzieren oder zumindest bis zum Tod der Kunst, aber vielleicht zu seinem eigenen Tod.

Rosenberg erhielt schließlich finanzielle Unterstützung von den folgenden Organisationen: Union Carbide, Peter Morris, United Press, Bond Corporation und Holmes a Court. Sie investierten in das Projekt in Spekulation auf Gewinn in Folge der Entwicklung des Gebietes zu einer internationalen Touristenattraktion. Rosenberg hatte keine Skrupel bezüglich ›schmutzigen‹ Geldes – für ihn gab es so etwas wie ›sauberes‹ Geld für die Kunst gar nicht. Aber es gab da so etwas wie eine saubere Umgebung, und die Violinen (aus recycelten Kunstkatalogen und Kaffeehaustischen hergestellt) waren kompostierbar. Rosenberg sah voraus, daß etwa zu der Zeit, in der die letzte Violine installiert worden wäre, die erste bereits zerfallen würde. Die Dekomposition des ganzen Projektes würde nach sieben Jahren vollendet sein, ohne eine Spur von ihm zu hinterlassen.

Es wurde nur ein kleiner Teil des Projektes realisiert, aber dieser existiert noch, und es ist äußerst empfehlenswert, sich die Mühe zu machen, ihn anzusehen. Die meisten der 900 merkwürdigen, vier Meter hohen Violinen sind bereits in fortgeschrittenen Verfallsstadien, aber ungefähr ein Drittel von ihnen besteht aus noch funktionierenden Musikinstrumenten. Der Klang ist furchterregend. Visuell, wenn man die Gitterlinien auf diesem Friedhof der Violinenperversion entlangwandert, hat man das überwältigende Gefühl, daß sich nichts geändert hat.

Bernice Reilly
aus: Bernice Reilly, ›Johannes Rosenberg‹ in Jon Rose, Rainer Linz, The Pink Violin. A Portrait of an Australian Musical Dynasty, Melbourne 1992

*Johannes Rosenberg wurde 1926 in Wagga Wagga, Australien, geboren. 1932 nahm er Privatunterricht bei Josef Kreisler, dem nach Australien ausgewanderten Bruder von Fritz Kreisler. 1952 gründete er die Fachrichtung Ethnoviolonogie. 1961 schrieb er seine erste Komposition für Violine und interaktiven Hammerhai. Ab Mitte der 60er Jahre unterrichtete er die Beatles in Violine und unternahm bis Ende der 70er Jahre zahlreiche Welttourneen. 1992 beging er 400 km westlich von Alice Springs Selbstmord.




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