M a r t i n R i c h e s
Martin Riches’ erste Musikmaschine, die Flute Playing Machine entstand 1979 auf Anregung von Eberhard Blum. Nachdem Riches sich die nötigen instrumentenbautechnischen Kenntnisse angeeignet hatte, konstruierte er eine selbstspielende Altflöte (Umfang g - g’), deren Programmierung auf eine lange Transparentfolie aufgezeichnet wird, ähnlich den gestanzten Papierrollen des Player Piano. Die Abtastung erfolgt jedoch in zweifacher Weise optisch: 1. über ein Lesegerät mit 15 Fotozellen, das die optisch codierte Information für die Tonklappen und das Anblasventil an den Flötenspielmechanismus weiterreicht; 2. kann auch das Publikum die Folie bequem ›in Echtzeit‹ mitverfolgen.

Riches’ Maschinen nehmen, obwohl sie mit äußerster handwerklicher Sorgfalt hergestellt sind, durch den ihnen dennoch verbleibenden Charme des Selbstgebauten für sich ein, eine Eigenschaft, die sie zusammen mit ihrer formalen Überschaubarkeit in Wesensverwandtschaft mit den Stücken des Komponisten Tom Johnson setzt. Die einfachen Muster von Johnsons Stücken rufen förmlich nach der visuellen Darstellungsweise von Riches’ Music Rolls. Bei seinen Reversibles (1983) für die Flute Playing Machine nutzt Johnson die Transparenz des Partiturmaterials und ersinnt gewissermaßen doppelt-palindromische Stücke, die der Maschine von beiden Seiten und in beiden Leserichtungen verfüttert werden können.

Die Vorführungen von Riches’ Musikmaschinen finden meist als Konzerte, gelegentlich in Installationsform statt. Bei der Linear Percussion Installation (1988) sind 8 kurze Stücke, von Johnson eigens für diese Arbeit verfaßt, auf einem EPROM gespeichert. Als Klangerzeuger dienen 24 Klangstäbe, jeder mit einem ferngesteuerten Hartholzschlegel, jeder auf einem dünnen Ständer knapp über Augenhöhe positioniert. Die Installation kann bis zu einer Länge von etwa 100 Metern ausgedehnt werden. Johnsons Eight Pieces, die mit überraschender Konsequenz leicht faßlichen Regeln folgen, füllen diesen Raum kongenial aus, verwenden ihn wie ein imaginäres Brettspiel.

Neben der automatischen Flöte, einer selbstspielenden Geige und mehreren perkussiven Arbeiten konstruiert Riches Musikmaschinen mit Orgelpfeifen. Sein besonderes Interesse gilt darüber hinaus der synthetischen Spracherzeugung, zu welchem Zweck er 1990-92 seine Talking Machine anfertigte. Die Schallerzeugung erfolgt rein akustisch über 32 Orgelpfeifen, die mit entsprechenden, der Form der menschlichen Mundhöhle bei Aussprache des jeweiligen Phonems nachgebildeten Resonatoren ausgestattet sind.

Verglichen mit den imposanten High-Tech-Apparaten einiger seiner Kollegen nehmen sich Riches’ Musikmaschinen bescheiden aus. Das ist jedoch nur eine ihrer Tugenden. Sie sind sorgfältig konstruiert und werden von diversen Komponisten mit perfekt auf sie zugeschnittenen Musiken versehen. Ihr besonderer Vorzug ist die Übereinstimmung der akustischen und visuellen Abläufe; man kann genau hören und sehen, wie sie funktionieren.

Frank Gertich

aus: Frank Gertich, ›Real erklingender Mechanismus‹ in Neue Zeitschrift für Musik, März/April 1995



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