C h r i s t i a n M a r c la y
Hören wir anders, wenn wir sehen? Sehen wir anders, wenn wir hören? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Christian Marclay in einem Teil seines Werkes, nämlich dort, wo wir die Dinge, die Musik ausmachen, lediglich sehen. Schallplatten ohne Rillen, fotografierte Schallplatten, Schallplatten als Fußbodenbelag oder Collagen von Schallplattenhüllen: immer wieder setzt Marclay bei dieser schwarzen Musikreproduktionsmasse an, zeigt sie weniger den Ohren, sondern den Augen. Schallplatten sind wie Fotografien Objekte der Erinnerung. Doch was passiert, wenn diese Funktion verweigert wird, wenn sie schweigen müssen? Dann wird gelinde gesagt die Erinnerung übermächtig. Sie wird nicht mehr durch etwas Bestimmtes kanalisiert. Sie läßt den gesamten Kosmos von Musik und Bild vor unseren Augen und Ohren aufdämmern.

Auf der letzten Biennale in Venedig brachte Marclay sein Prinzip der gleichzeitigen Ungleichzeitigkeit mit einer Installation in der barocken Chiesa di San Stae besonders eindringlich auf den Punkt. Gigantisch vergrößerte Trödelfotos mit Ansichten musikalischer Laien in Tätigkeit hingen als durchsichtige Fahnen von der Decke und bestimmten den Raum mit seinen vielen kleineren Altären, die jeweils mit einem der Fotos in kleinem Rahmen bestückt waren. Der sakrale Ort verwandelte sich in eine Manifestation, in eine ›Amplification‹ der Spannung zwischen Produktion und Reproduktion, öffentlich und privat, Professionalismus und Dilettantismus.

Aus solchen Spannungsbögen bezieht die Kunst Marclays von Anfang an ihren Impetus, gerade auch dann, wenn er selbst Musik macht. Schon vor Hip Hop und Techno spielte er öffentlich Schallplatten vor, mixte und bearbeitete sie. 1993 ersetzte Marclay die Schallplatten durch einen live-mix mit fast zweihundert Musikern im ehemaligen Straßenbahndepot Berlin-Moabit, am Dirigentenpult der Künstler, der mit Papptafeln Einsatz und Ende der jeweiligen Gruppe signalisierte. Selten konnte soviel über das Wesen und Unwesen der Musik erfahren werden wie bei diesem sommerlichen Spektakel.

Zwischen sichtbarer Stille und der Kakofonie des weißen Rauschens bestimmt jedoch ein weiteres Element das Gesamtwerk: der Humor Marclays, der immer wieder durchbricht und das Ganze in Heiterkeit vollkommen macht. Marclay: "Humor ist sehr wichtig… Die Leute sind aufmerksamer, wenn man sie mit Humor packt. Du kannst viel ekelhafter sein, wenn du witzig bist."

Michael Glasmeier




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