Y o u n g F a r m e r s C l a i m F u t u r e
›Young Farmers Claim Future‹ (Junge Bauern erheben Anspruch auf die Zukunft) — der Name liest sich wie eine Zeitungsschlagzeile. Bis auf die Essenz ausgepreßt, bleiben nur die signifikantesten Elemente übrig. Information bis zu dem Punkt komprimiert, an dem sie alle Bedeutung verliert. Beim Lesen stimmt man zu: "Natürlich, das sollten sie." Es ist so, als würde man ein Stück Land auf dem Mond beanspruchen — wir müssen so lange warten, bis wir die Absicht haben, auch dort zu bleiben. In Wirklichkeit ist es komplizierter. In einer fernen Zukunft wird man vielleicht erfolgreich in die Zukunft reisen können, sobald man aber da ist, wird sie sich immer als Gegenwart erweisen. "Vergiß das Vergangene, vermeide die Gegenwart, beanspruche die Zukunft" ist eines der Motti, die man auf der CD Unploughed (Ungepflügt) von Herbert van de Sompel und Guy C. Jules van Belle finden kann. Das belgische Duo verbirgt sich hinter der genannten Schlagzeile, und das Motto paßt zu ihrer Arbeit, die fast ausschließlich in ihren Computern stattfindet. Bei einem Konzert mögen sie vielleicht an ihren Keyboards stehen, ihre Terminals beobachten und die Hüften zu einem scharfen, aber ziemlich unleidenschaftlichen, von Maschinen generierten Beat schwingen. Ströme verlaufen entlang vorbestimmter Bahnen, eilen in Seitenwege, prallen in Sackgassen, hetzen durch Irrwege, rasen in Kreisbahnen herum. Das klangliche Resultat ist genauso komplex und bizarr wie die Vorgänge in den Computern. Sichtbare Eingriffe des Duos mit Tasten und Joysticks haben keinen adäquaten auditiven Effekt zur Folge. Eine Ähnlichkeit von produzierten Klängen mit den aktuellen Instrumenten ist rein zufällig.

Die Zukunft ist etwas, auf das wir immer zusteuern, ohne sie je zu erreichen. Die Musik von YFCF basiert auf dem gleichen Prinzip. Sie ist permanent in Bewegung, geht unerwartete Wege, genau wie Internetverbindungen. Das Internet ist deshalb das angemessenste Umfeld für ihre Aktivitäten. Es ist ihr Grund und Boden. Die jungen Farmer haben dort eine Scheune gebaut, die voll ist mit Bezügen zu visuellen und auditiven Produkten des Duos.

Es scheint eine angeborene menschliche Eigenschaft zu sein, Tätigkeiten von steigender Komplexität und Geschwindigkeit in Arbeitsschritte zu unterteilen, um sie mit möglichst geringem Aufwand ausführen zu können. Die Entwicklung des Computers war so unausweichlich wie die Erfindung des Rades und des Schießpulvers. Über Netzwerke verbundene Computer ermöglichen es ihrem Besitzer, auf die Schnellstraßen der Zukunft zu gelangen. Auf diesen Straßen kann jeder die Person sein, die er oder sie sein möchte und jeder erdenklichen Laune nachgeben. Es gibt keine Absperrungen. Dies gesehen, das getan, dort gewesen? Mehr Orte und Action halten sich bereit. Wir werden verführt, daran zu glauben.

Aber wie das so ist, Verkehr kann sich stauen. Vielleicht sind die Daten komprimiert, um Bewegung zu vereinfachen, aber die Bilderwelt in dieser globalen Verbindung wird der realen Erfahrung nicht gerecht. Die Suggestion, daß eine Person in der Lage wäre, wie auf einer brillant geformten Welle zu surfen, ist eine schamlose Übertreibung des Arbeitstempos, mit dem sich die Informationspakete mühsam von einem Computer zum anderen schleppen. Email kann als Rührei ankommen oder um Tage verspätet.
"Wenn Gott existiert, lebt er innerhalb unserer Computer" ist ein anderer Slogan von YFCF. Gott ist eine Vorstellung des unvollkommenen, animalischen Menschen. Betrachtet man den Aufwand, der in den Computer gesteckt wurde, und den Komfort, den er ermöglicht, dann erkennt man ihn als Objekt der Verehrung, der Idolisierung. Ein virtueller Raum, konstruiert und instandgehalten von Menschen, so groß, daß er grenzenlos erscheint. Er verspricht endlose Möglichkeiten. Internet, Telearbeit, Teleshopping, Online-Gespräche, Ineraktivität — heute ist das die Zukunft. Die ›Young Farmers‹ beanspruchen nicht weniger. Ihre Musik ist so perfekt und inspiriert und banal wie die Maschine, in der sie ausgebrütet wurde.

René van Peer





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