Ausstellung

 




Walter Kempowski, Objekt mit Figuren in Zellen, undatiert. Vorarbeit zum Echolot.
Kempowski Stiftung »Haus Kreienhoop«
Foto: Roman März

 



Walter Kempowski, Die sogenannten »roten Bände«, Materialsammlung für die Deutsche Chronik, 1959 – ca. 1973.
Walter-Kempowski-Archiv, AdK
Foto: Roman März, © AdK

 

Eine Gefängnistür, Schiffsmodelle, Spielzeugsoldaten, abgetragene Schuhe, das selbstgebaute Stadtmodell Rostocks, Zigarrenkisten und ein Werbeschild der Marke Loeser & Wolff sind eher ungewöhnliche Exponate einer Literaturausstellung. Natürlich zeigt Kempowskis Lebensläufe auch Briefe und schöne Manuskripte, Fotos und Dokumente, aber sie geht über die Biographie des Autors Walter Kempowski und sein bedeutendes literarisches Lebenswerk hinaus; die Ausstellung zeichnet darüber hinaus mehr als 100 Jahre erlebter und dokumentierter, archivierter wie literarisch gestalteter deutscher Geschichte. Kempowskis Erinnerungsanker und Schreibimpuls war neben den Objekten seiner Sammelleidenschaft sein einzigartiges Archiv, das die Akademie der Künste vor zwei Jahren übernahm und erstmals in der Ausstellung präsentiert. Der Fundus, auf den dabei zurückgegriffen werden konnte, füllt 500 laufende Meter Regal; die insgesamt 3,5 Millionen Blatt enthalten, neben seinen eigenen literarischen und biografischen Aufzeichnungen, 8000 deutsche Lebensläufe und 300000 Privatfotos, zumeist in Familienalben.

Ausgangspunkt der Ausstellung ist das Zuchthaus Bautzen. 1948 in seiner Vaterstadt Rostock mit 18 Jahren wegen Spionage verhaftet – er wollte über die sowjetische Industriedemontage berichten – und zu 25 Jahren Haft verurteilt, wurde Walter Kempowski 1956 entlassen und ging in die Bundesrepublik. Im Zuchthaus hatte er die erzählten Lebensläufe seiner Mithäftlinge in sich aufgenommen und sein Gedächtnis mit der Rekapitulation seines bisherigen Lebens und der Familiengeschichte geschult. Das Schuldgefühl, die Mutter ins Gefängnis gebracht und die Familie zerstört zu haben, arbeitet er danach in seiner dreifachen Laufbahn als Schriftsteller, Pädagoge und Archivar ab. Nach dem Studium in Göttingen wird der Reformpädagoge Dorfschullehrer, sammelt Dokumente seiner Familiengeschichte und schreibt 13 Jahre lang an seinem Erstling Im Block, der seine Haftzeit verarbeitet. Dieser Zeit von 1956 bis 1969 ist der zweite Ausstellungsraum gewidmet.

Der dritte Raum, der große Quersaal des Akademiegebäudes am Pariser Platz, entfaltet Kempowskis literarisches und autobiographisches Werk vor dem Hintergrund der Familiengeschichte in Rostock und seines Lebens auf dem neuen Landwohnsitz in Nartum, von den Romanen der Deutschen Chronik (mit Tadellöser & Wolff, Aus großer Zeit, Uns geht’s ja noch gold u.a.) über das monumentale Montagewerk Echolot bis zum jüngsten Roman Alles umsonst, der die Vertreibung aus Ostpreußen literarisch verarbeitet. Kempowskis umfassendes Zeitpanorama zeichnet exemplarisch die Geschichte des deutschen Bürgertums von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis hinein in die DDR, die Bundesrepublik und das wiedervereinte Deutschland. Danach verändert die Ausstellung den Fokus und konzentriert sich auf die Darstellung eines einzigen Tags im Echolot, den 1. Januar 1943. Der aus 96 zeitgenössischen Zitaten montierte Text wird von Mitgliedern der Akademie der Künste – u.a. Andreas Dresen, Gisela May, Ulrich Matthes, Hans Neuenfels, Katharina Thalbach, Wim Wenders – akustisch präsentiert. Der letzte Raum breitet erneut die Fülle des Archivmaterials aus; nach Kempowskis biographischem und Werkarchiv ist nun das Biographien- und Fotoarchiv die Grundlage. Aus deren Dokumenten entsteht eine Collage der über hundertjährigen kollektiven Erfahrungen der Deutschen in Wort und Fotografie, in die lediglich Kempowskis Schlagworte Schneisen schlagen.