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K y r a S t r a t m a n n
Kyra Stratmann arbeitet seit 1992 mit Sprachinstallationen. Sie setzt bei vorhandenen Räumen, Gebäuden, Plätzen an, untersucht dort Architektur und Geschichte, Bilder und Stimmungen, die sich angelagert haben. Aus diesen Dimensionen der Räume schafft sie die formalen Bedingungen für eine Installation.

Es ist ein plastisches Arbeiten im klassischen Sinn, das dem Raum eine ihm innewohnende akustische Metapher in Form einer ›Konserve‹ beifügt. Stratmann bedient sich dabei vorhandener Texte in gesprochener Sprache. Die Strukturen des Raumes und des Textes werden auf Aufteilung, Akustik und ihre prägenden Merkmale hin untersucht. So wird die Feinmechanik ihrer interaktiven Möglichkeiten erfaßt. Daraus entstehen die Form, die der Text im Raum einnimmt, und die Art, wie er gesprochen wird. Daraus ergibt sich als Niederschrift eine Textpartitur. Sie greift vorhandene Bearbeitungsweisen auf, wie die Passacaglia oder die Fuge, aber auch die Kommunikationsmuster der natürlichen Sprache. Es zeigt sich, welche Sprecher, ob weiblich oder männlich, benötigt werden und wie die Klangfarbe der Stimme beschaffen sein muß. Die ›Konserve‹ entsteht im Tonstudio. Sie wird durch CD-Player und Boxen präsentiert, die nur in ihrer technischen Notwendigkeit erscheinen. Ihnen widerfährt keine visuelle Bearbeitung.

1995 realisiert Stratmann in der Düsseldorfer Johanneskirche eine Arbeit, die die ›Letzten Dinge‹ thematisiert. Protestantische Nüchternheit zeichnet den 1953 wiederaufgebauten Kirchraum aus. Seine Schwerpunkte sind Kanzel und Orgel. Sinnlichkeit vermittelt sich hier allein über das Ohr.

Stratmann fügt diesem Raum einen Text des Philosophen Ludwig Wittgenstein aus seiner Jugendschrift Tractatus logico-philosophicus hinzu, worin er in der Sprache bis an deren Grenzen nach der Lösung des Lebensrätsels sucht. Diese Suche ist Ausdruck einer Moderne, die das Wort in seiner Wahrhaftigkeit konzentrieren möchte. Er strebt nach Reinheit, Klarheit, Objektivität und hofft damit die Mythen der Philosophie hinter sich lassen zu können.

Auf der Kirchenempore stehen links und rechts Boxen, die mit einem CD-Player verbunden sind. Setzt man sich in eine der Bänke, so hört man zwei Sprecher im Dialog, die eine Stunde ohne Pause die halbierten Sätze Wittgensteins in wechselnder Stimmung zueinander führen. Dabei merkt man erleichtert, daß sich die bedeutungsschweren Sätze zu wiederholen beginnen. Man bekommt unerwartet Zeit zum Verstehen. Doch der Sinn, dem man nun lauschen möchte, entzieht sich in den Rhythmus des Sprechens.

Stratmann führt so den aufrichtigen Modernismus des Philosophen im Kreis herum. Die Kirche wird zum Sprachraum, in dem die Worte nicht mehr mit Sinn beladen sind, sondern die Lücke zwischen dem, was wir vermitteln wollen, und dem, was Sprache ist, öffnen.

Thorsten Nolting


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