B e n o i t M a u b r e y
1982 verabschiedete sich der Künstler Benoît Maubrey von der Malerei und wandte sich einem neuen Medium zu. Seine Idee war, mit Lautsprecher-Anlagen zu arbeiten: Auf Second-hand-Kleidung montierte Lautsprecher, kleine Verstärker und ein Walkman funktionierten als transportable, mobile PA-Anlage. Die ersten Versuche mündeten 1985 in die Gründung der ›Audio Gruppe‹, und mit vereinten Kräften gelang es Maubrey und seinen MitarbeiterInnen alsbald, die Technik zu perfektionieren und kleine, limitierte Serien von Audio-Kleidern für spezielle Anlässe herzustellen. Seitdem entstanden eine ganze Reihe verschiedener Performance-Konzepte und dafür entworfener ›Audio Uniforms‹: so z.B. 1985 die Audio Herde, 1986 die Audio Stahlwerker und die Guitar Monkeys, 1987 die Audio Radfahrer und 1993 die Audio Guards.

Die 1989 für das Festival ›Les Arts au Soleil‹ in Lille konzipierten Audio Ballerinas sollten zum Hit der ›Audio Gruppe‹ werden: den Röcken der klassischen Ballerinas nachempfundene Audio Tutus — die unter Maubreys Händen zu Plexiglasscheiben mutierten — besaßen erstmals ein sogenanntes Digital Memory. Dieses uns von Anrufbeantwortern her vertraute Bauteil ermöglicht es, Klänge aufzunehmen und wiederzugeben.

Die Plexiglas-Tutus wurden zur perfekten Unterlage für eine vollständige PA-Anlage mit Digital Memories, Mikrofonen, Metronomen, Radio- und Funkempfängern, Lichtsensoren und Solarzellen.

Mit diesen Systemen werden die umgebenden Geräusche der Straße, der Passanten und der anderen Performer aufgenommen und kurz darauf wieder abgespielt – einmalig oder wiederholt, original oder verfremdet.

Der Ton vervielfältigt sich, die Ballerinas werden zu lebendigen Lautsprechern. Mit jeder ihrer Bewegungen, mit jeder Richtungsänderung verändert sich auch der Klang, mal hören die Passanten nur den Ton eines, mal den vieler Audio-Tutus. Die Töne spinnen ein unsichtbares und bewegtes Netz, das sich über den Ort legt, sie werden zur Kommunikation zwischen den Tänzerinnen, die auf ihr Umfeld reagieren, und den Zuschauern, die ihnen mit Augen und Ohren folgen und selbst in Bewegung geraten.

Das Medium der Kunst Maubreys ist die heute so selbstverständliche und vertraute digitale Unterhaltungs-Elektronik, die gewöhnlich eher dazu dient, Ersatz für den Dialog mit der Umgebung zu bieten, am besten demonstriert durch den abschottenden Walkman. Als Bestandteil der Audio-Kleider wird diese Technik mit dem Ziel eingesetzt, die Anonymität und die Gleichgültigkeit in der Öffentlichkeit zu durchbrechen und statt dessen eine lebendige Aufmerksamkeit herauszufordern.

Katja von der Bey

aus: Katja von der Bey, ›Die Audio-Gruppe Benoît Maubreys‹ in Der NordBerliner, 21. November 1991



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