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B e a t e L o t z / D i r k S c h w i b b e r t
Iserlohn, an einem trüben Sommerwochenende. Längst sind die Geschäfte geschlossen, und seitdem herrscht in der Fußgängerzone Stille. Doch auf der Straße, die um die verlassene Stadtmitte führt, braust noch immer der Verkehr, und ausgerechnet hier haben ›Klangfach 6‹ (Beate Lotz und Dirk Schwibbert mit R. Frank, S. M. Schneider, N. Beuermann und G. Föllmer) ihre Installation errichtet: auf dem Fußweg, der durch das alte Stadttor führt. Wer aus der Innenstadt will, der muß da hindurch, und der will das zügig. Dämmerlicht und Autolärm treiben zur Eile. Mit ihrer Klanginstallation hat sich dies — vorübergehend — geändert. Bogen 51° 23’/ 7° 40’, ein flach gewölbter Steg aus Eisenrosten, führt den Passanten nunmehr durch ein Tor, in dem die Autos nur noch indirekt den Ton angeben. Statt der Motoren hört der Fußgänger ein Sinustongemisch, das er durch- bzw. überschreitet — es kommt, via Computer ständig variiert, aus Lautsprechern in Fuß- und Kopfhöhe. Über Mikrofone an der Straßenseite aber steuern die vorbeifahrenden Wagen die Dynamik jener Geräusche, die ›Klangfach 6‹ in einem Iserlohner Metallwerk aufgenommen haben: Unwissentlich schaffen die Autofahrer einen völlig neuen Klangraum.

Der ›Bogen‹ ist exemplarisch für die Herangehensweise von ›Klangfach 6‹. Sie suchen für ihre temporären Arbeiten keine stillen Plätze, sondern gehen an öffentliche Orte, in Höfe, Eingangsbereiche oder aufs Straßenland, wo Architektur und verschiedenste Klangquellen unkontrolliert zusammenspielen; also in Durchgangsräume, deren akustische Charakteristika meist für unvermeidlich gehalten und daher eher erlitten als erlebt werden. Denn hier, und darauf spekulieren die Künstler, rechnen die wenigsten mit einer gezielten Manipulation des akustischen Umfelds.

Mit dem Moment der Überraschung spielt jede Arbeit von ›Klangfach 6‹. Gleichwohl halten die Installationen höfliche Distanz. Nur dezent werben sie um Aufmerksamkeit, und ohnehin haben Rezipienten in Durchgangsräumen die Freiheit, eine Auseinandersetzung mit der Arbeit zu vermeiden oder aber sich ihr auf ganz persönliche Weise zu nähern und schließlich den Klang auch selbst zu beeinflussen.

1994 realisierten Beate Lotz und Dirk Schwibbert mit anderen Teilnehmern einer Arbeitsgruppe, die Robin Minard an der Technischen Universität Berlin leitete, eine Klanginstallation mit acht tönenden Bojen auf dem Rangsdorfer See in Brandenburg. Im Spiel von Wind und Wellen ließen diese ständig neue Klangfelder entstehen. Die eigentliche Gestaltung oblag jedoch den Hörern: Mit Booten konnten sie die Bojen umfahren und sich so — inmitten einer klingenden Seenlandschaft — immer wieder andere Klangfelder aus synthetischen Klängen, verfremdeten Realgeräuschen und den Lauten der Natur errudern.

Beate Lotz und Dirk Schwibbert arbeiten mit synthetischen Klängen und konkreten Geräuschen; im Vordergrund aber steht das Vorortmaterial, dessen Bearbeitung nicht nur Geschichte und Funktion des Platzes reflektiert, sondern auch auf die Option der Veränderung verweist. Nichts muß bleiben, wie es ist. Dies gilt erst recht für jenen Ort, für den die Installation Schleife/Loop! konzipiert ist: für das Zentrum von Berlin, um dessen Bebauung seit der deutschen Vereinigung gestritten wird, wenn auch nur um Nutzung und Fassaden. Von akustischen Konzepten für Berlins Mitte war bisher noch kaum die Rede.

Claudia Wahjudi


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