B e r n h a r d L e i t n e r
Seit 1968 begreift Bernhard Leitner Raum als ein Instrument, das seine sichtbaren Formen hörbar in flexiblen Gestalten vermittelt: In seiner Ton-Raum-Arbeit wird Ton erstmals als Immaterielles, zeitlich-räumliches Baumaterial verstanden. Die genau kalkulierte Verteilung der Lautsprecher ist eine Art Gerüst für Leitners Architekturen, Skulpturen und Objekte.

1984 entstand der Ton-Raum im Haupttreppenhaus der Technischen Universität Berlin. Im würfelartigen Raum mit seinen perforierten Metallwänden sind 42 Lautsprecher montiert. Klänge überwölben den Raum, Ton-Linien durchkreuzen ihn, kreisen ihn ein. Es entstehen Räume, die atmen, die sich verschlingen, in Bewegungen schwingen und doch Ruhe ausstrahlen können. In mehreren Arbeiten von Leitner können Klänge wie eine eingezogene, zusätzliche Decke über den Köpfen schweben. Schwere, polierte Granitplatten lasten auf den Boden-Lautsprechern (Ton-Feld IV), um den Ton-Raum nicht über Kniehöhe aufsteigen zu lassen. In jüngerer Zeit ist Leitner auch dazu übergegangen, die Lautsprecher sichtbar mit Magneten an Metall-Objekten anzubringen. Der Ton scheint in konvexen oder konkaven Schalen bzw. Linien (Firmament, 1996) entlangzulaufen und formt sie gleichzeitig zum Gegenbild aus. Im Unterschied zu den früheren Arbeiten, die dem Raum eine rhetorisch-gestische Bedeutung geben, wirkt das Sichtbarmachen der Schallquelle so, als würde die Zeitachse des Klangs gekrümmt.

Die Grundlage der wehenden, rhythmisierten und wandernden Klangmuster sind vor allem musikalische Töne. In der Klang-Gestaltung wird dann das Basis-Material so geformt, daß seine räumlich-plastischen Eigenschaften hervortreten. Partituren werden erstellt, die das über Computer geregelte zeitliche und dynamische Ineinandergreifen der Lautsprecher ganz präzise regeln. Wandern die Töne im Raum, so verschmilzt durch Crescendo und Decrescendo ihr Ortswechsel zu einem einheitlichen Bewegungsvorgang, einer Linie, einer Wölbung, einer Wiege und anderem mehr. Die Konstruktion eines solchen Raumes benutzt psychologische Mechanismen der Gestaltbildung; sie findet in der Erfahrung eines wahrnehmenden Subjekts statt.

Wie sehr Sehen und Hören als ein ganzheitlicher Prozeß zu denken sind, wird an Objekten von Leitner zu einem unmittelbar gegebenen und zugleich bewußt reflektierbaren Erlebnis. An einem bräunlich-rosafarbenen Steinbalken aus indischem Granit (mit seiner in leicht gewellten Linien erstarrten Zeichnung) fließen hauchige Klänge entlang. Ihr zeitlich-dynamisches Muster erlaubt nicht, sie aus seitlich angebrachten Lautsprechern herauszuholen, und der Stein drängt ihnen auch seine fließende Maserung auf (Fließender Stein, 1990). Kleine Hürden auf einem Metallrohr verbinden sich in gleicher Weise mit rhythmisierten Tönen, als sprängen diese den Balken entlang in die und über die vorgegebenen Maß-Markierungen. Man hört, was man zu sehen glaubt (Springer, 1996). Mehr und mehr ist Leitner in den letzten Jahren zu einer gleichzeitigen, integrierenden Gestaltung für Auge und Ohr übergegangen. Dabei spielen Material und Farbe eine wesentliche Rolle. Durch die Verwendung neuartiger Materialien passen sich Räume optisch an die beim Hören empfundene Bewegung an. Membrane, blau, an der Decke ausgespannt, die sich zu Tonnen- oder Tropfengewölben verformen, als reagierten sie unmittelbar auf die aus Säulen aufsteigenden Klänge (Blaues Wölben/Raum-Wehen, 1994), lösen die Statik von Räumen auf. In den Membranen spiegelt sich vorübergehend die Umgebung auf dem Kopf stehend. Eine Kluft öffnet sich zwischen der alltäglichen und einer erdachten Welt. Den denkbaren Umformungen der Realität kann der Rezipient nicht passiv gegenüberstehen. Er muß seine eigenen subjektiven Koordinaten neu bestimmen.

Helga de la Motte-Haber



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