H a n s P e t e r K u h n
Hans Peter Kuhn hat im Laufe des letzten Jahrzehnts einige sehr überraschende Exkursionen entlang der Küste unternommen, in der die Fluten der gegenständlichen (geräuschhaften) Ströme auf das feste Land der Kunsttöne (Musik) treffen. Der reichhaltige Abdruck, die naturschönen Muster und die Wiederaufbereitung der im Tonsand verlaufenen und versteckten Geräusche sind bei ihm so beschaffen, daß die kompositorische Intention und Pointierung immer die Oberhand behalten. Er kadriert selbst das nebensächlichste Geräusch. Wenn er in dem Stück Rot Gelb Blau – ursprünglich eine licht-akustische Installation – eine kaum vernehmlich flüsternde Stimme über eine ständig wechselnde Zeitweiche in das Reich der Geräusche und des musikalischen Tons überführt, ergeht es einem, als würde man einen Meridian durchlaufen – an das linke Ohr prallt und pocht die ›stumme‹ Welt der Dinge, an das rechte die ›reguläre‹, die klanghaltige Musik: Aber erst die unentwirrbare und dennoch nicht chaotische Durchdringung beider Welten im Kopf des Meridianwanderers und Hörers schafft jenen leisen Taumel, den Musik und Geräusch allein nicht zu erzeugen vermögen.

Gelegentlich – und gewiß nicht zufällig in der Nähe von Robert Wilson – zeigt er, wie Hypnose ohne Handauflegen funktioniert. Bei Dr Faustus Lights the Light von Gertrude Stein genügt die rückwärts ablaufende und in die Zeit wie in Sand verströmende Umkehr eines Dreiklangs, um jenen Firnis zu erzeugen, der unsere Wachträume von der Wirklichkeit abhebt. In Wilsons repetitivem Theater – in dieser vom Klang und dem Gestus (des Sprechens) mehr als von der Sprache selbst getragenen Szene – hat Kuhn bis heute zahlreicheVisionen (man sollte in seinem Fall vielleicht besser von ›Auditionen‹ sprechen) verwirklichen können. Der onirische, vom Material ausgefällte sound – das ist Kuhn. Das ist sein Fingerabdruck.

1995 stellten wir zusammen für den Berliner Merve Verlag ein kleines Tondenkmal her: You Can’t Judge a Book by It’s Cover. Auf derCD sollten die über die Jahre von den Verlegern gesammelten Stimmen der Autoren so präsentiert werden, daß man sie unabhängig von ihrem und anders als mit ihrem Text hören mochte. Hans Peter Kuhns Kniff (Kunstgriff) bestand darin, die Stimmen geräuschchoreografisch aufzufassen. Sie waren durch die Knappheit der Aufzeichnung ohnehin aus einem primären Sinnzusammenhang entlassen und geisterten als aleatorische Sinnpartikel über den Terminal. Durch ihre Rückbindung an ein neues sehr dichtes Geräuschfeld entstand nach und nach so etwas wie das ›patchwork‹ eines monologischen Chors.

In jüngster Zeit wird neben der Theaterarbeit seine eigene, schon früh erprobte Neigung, den Raum plastisch werden zu lassen, immer vordringlicher. Was bei Straight Line noch in der Konfiguration von Klangstellen verharrte, platzte bei Fassungslos zum gläsernen Gegengeräusch des Amorphen und verwandelte in Chidori die Tänzerin in einen farb- und klanggesteuerten Körper in einem ansonst kahlen Raum. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird diese raumplastische Komposition in Zukunft Kuhns Arbeit mehr und mehr bestimmen. Neue Meridiane, neue Küstenstreifen wird er erkunden.

Hanns Zischler




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