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Zitty 17/96
Mediagramm Nr. 25: ZKM Karlsruhe 19/1996
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Zitty 17/96
Klang ist so!
Sonambiente- ein Festival für alle menschlichen Wahrnehmungskanäle

Kein Grund, über einen Mangel an Außergewöhnlichem zu jammern. Bis September gibt sich die Haute Volée der Sound-Tüftler, der virtuellen Verwirrer und tonsüchtigen Kalkulatoren ein Stelldichein. Jede Veranstaltung, jedes Environment ein Unikat.

Eine Einstimmung von Reiner Schweinfurth.

Als vor sechzehn Jahren Nele Hertling und René Block in der Akademie der Künste im Tiergarten die Ausstellung und PerformanceReihe Für Augen und Ohren organisierten, waren die Folgen nicht absehbar. Den Begriff Audio-Art gab es noch nicht als allseits anerkannte Gattungsbezeichnung."Für mich war das damals ein lnitiationserlebnis", sagt Matthias Osterwold, einer der künstlerischen Leiter von Sonambiente.

Nicht nur Osterwold war damals entzückt. Auch das große Publikum stellte fest, welch integrierende Kraft Klänge haben können. In der Konfrontation als auch der Verbindung ansonsten getrennter Künste wurde deutlich, daß da mehr passierte als eben nur avantgardistische Spielereien mit akkustischen und visuellen Signalen.

Klangkunst hat sich als autonome ästhetische Sprache neben den traditionellen Künsten wie Malerei, Musik oder Theater herausgebildet. In der feuilletonistischen Weltbeschreibung werden die Ton-Raum-Bild-Assoziierer immer noch eher der bildenden Kunst zugeordnet, was aber aus Sicht der Macher öfter eine Verlegenheit ist. Sonambiente will die Emanzipation der Sound-Art weiter vorantreiben.

Der Traum von der Zusammenführung unterschiedlicher Ausdrucksmedien ist spätestens seit der Romantik eine stetige Willensbekundung schöpferischer Seelen. Als Richard Wagner das Gesamtkunstwerk zur Krönung des humanen Kosmos erhob, damit aber lediglich seiner eigenen Oper eine Apotheose angedeihen ließ, war ein vom Bürgertum bestimmter Endpunkt im Vorstellungsvermögen erreicht. Dagegen half nur noch die Revolte, aus deren Geist sich gerade die Klangkunst immer wieder erneuert.

Kunst ist Aktion ist Leben – so in etwa ließen sich die Arbeiten der Pioniere mit ihrem Patriarchen John Cage ideologisch überhöhen. Die oft bemühte Grenzüberschreitung ist bei Leuten wie Brian Eno, Laurie Anderson, Num June Paik oder Gary Hill, von denen Arbeiten zur Sonambiente zu erleben sind, nie Resultat, sondern Methode. Prototypisch läßt sich dies an Max Neuhaus erkunden, dem Erfinder der Klanginstallation. Sein Entwurf für die akkustische Gestaltung im Eingangsbereich des Hamburger Bahnhofs verrückt die Ortsidentität, indem er ihr verfremdende Klangschichten einfügt. Die Beteiligung des Besuchers an solchen Arrangements ist vital. Die Korrespondenz der Video-Screens und Lautsprecher, die Nam June Paik im Staatsratsgebäude mit den sozialistischen Glasfenstern und ihren Arbeiteridyllen in Verbindung bringt, deutet sich jeder selber oder auch nicht. Ad libitum.

Matthias Osterwold betont den interaktiven Charakter der Projekte. "Es gibt für die Klangkunst keinen Text mehr wie er noch zum Beispiel in der Partitur für Musik vorhanden ist. Die Gestaltbildung ist offen. Der Gedanke ist erst in der Rezeption erfahrbar." Sonambiente wollte zunächst auf das ehemalige Rundfunkgelände an der Nalepastraße. Die dortigen Studios, Flurfluchten, Säle und Freiflächen hätten einem Klangpark ideale Produktionsmöglichkeiten verschafft. Aber schließlich war es zu weit draußen, die Besucher hätten eine Anreise-Odyssee hinter sich bringen müssen.

So gelangt die Übersichtsshow zum aktuellen Stand der AudioArt in Räume, in denen solcherart Aktion teilweise zum ersten Mal stattfindet. Zum Beispiel im ehemaligen Postfuhramt an der Oranienburger/Ecke Tucholskystraße. In einem achteckigen Kuppelraum versetzt Yufen Qin hängende Bambusstauden in Schwingung, in einer darunterliegenden Rotunde installiert Andres Bosshard ein Klangobservatorium, das als Labor ständiger Veränderungen funktioniert. Auch die Sophiensäle erfahren durch Sonambiente eine Neuentdeckung. Dieses Areal an der Sophienstraße, das bisher durch Theater und Tanz bekannt wurde, rückt nun noch stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit. Robert Wilsons musikalischer spiritus rector Hans-Peter Kuhn hat den großen Saal in der Mangel. Kuhn ist ein wichtiger Vermittler zwischen konventioneller Musik und einer oft kaum nachvollziehbaren Aufhebung von Melodie und Rhythmus. Aus 32 Lautsprecherboxen dringen Klangfetzen, die durch hohe Geschwindigkeit gekennzeichnet sind und den in gedämpftes Licht getauchten Raum mit anderen Proportionen provozieren.

Brian Eno und Laurie Anderson sorgen für die popmusikalischen Weihen von Sonambiente, obwohl ihre Arbeiten im Staatsratsgebäude und in der Akademie der Künste am Pariser Platz selbstredend nichts mit vereinfachender Volkstümlichkeit zu tun haben. Eno führt die Weiterentwicklung seiner generative-music vor; einer Maschine, die selbst entscheidet, was sie aus 150 Klangparametern zu einer Phrase zusammenbindet. Laurie Anderson hat sich von Stephen Hawking und John Cage inspirieren lassen. Ihr elektronisches Design "Whirlwind", einem kreisenden Environment aus Scheinwerfern und Sprachfragmenten, geht nichts Unwichtigerem nach als der Frage: Werden die Dinge in Zukunft besser oder schlechter? Und Cages Optimismus "Wird schon besser!" kommt auch drin vor.

Sonambiente ist angesetzt als Meilenstein. Von Lotto gab es zwei Millionen Mark, viele Sponsoren halfen mit, ein sehr instruktiver Katalog erschien, der Eintritt ist sehr günstig – Dauerkarte 8 Mark! Viele Orte sind umsonst zu betreten, und eine Fülle von Performances, Lesungen und Diskussionen schaffen einen aktuellen Generalschnitt durch die Kunst der Transformation. Im Berliner Prater gibt es eine Soundbar zum Nachschwirrenlassen. Nightly irritainment entzückt dort mit ambient, easy listening und anderen sounds aus der digitalen Werkstatt.

Bei Sonambiente ist die Gefahr groß: Wer da nicht hingeht, dem werden in zehn Jahren schlauere Zeitgenossen von etwas berichten, das sich wie eine Fama ausnimmt. Klang ist so.

Bis 8.9., Termine siehe Kunstkalender und Tagesproqramm unter stichwort sonambiente bei den verschiedenen Rubriken


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