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Frankfurter rundschau 14.8.96
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Mediagramm Nr. 25: ZKM Karlsruhe 19/1996
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Frankfurter rundschau 14.8.96
Stolperparcours durch Klangbaustellen

Eindrücke vom Festival "Sonambiente" der Berliner Akademie der Künste
Von Georg-Friedrich Kühn

Perks ist eine Hommage von Jon Rose an Percy Grainger, Originalgenie, geboren 1882 in Melbourne, gestorben 1961 in New York. Schon 1912 experimentierte er mit aleatorischer Musik, dann mit Musik im Raum, er versuchte ein Konzept von "free music" und "beatless music", frei schwebender Musik ohne Taktschläge. Und das Gegenteil: lange vor Conlon Nancarrow konstruierte er ein Player Piano, machte darauf "unspielbare" mechanische Musik. Und er erforschte wie Bartók die Musik der Völker, zumal des asiatischen Raums und Polynesiens.

Fürs Festival Sonambiente hat der Australier Jon Rose mit objets trouvés des leidenschaftlichen Sammlers, Sport- und Körperkulturfanatikers, Wäschedesigners und Sadomasofetischisten Grainger ein interaktives Spiel kreiert. Ausführende: zwei Badminton-Spieler, Violine, Drehleier, Playerpiano, zahlreiche elektronische Geräte mit einer Computersoftwear, gesteuert über die Kontaktmikrofone an den Schlägern der beiden Spieler. Videoprojektionen zeigen das Muskelspiel nackter Männer- und Frauenkörper beim Schlagspiel. Zwei menschliche Hirnhälften dialogisieren über ihr widersprüchliches Sosein beim sportlichen Kraft-Akt. Graingers wohl etwas schriller Mutter ist eine Klangepisode gewidmet, die schönste.

Roses interaktives Badminton-Spiel war die erste größere Uraufführung beim von der Berliner Akademie der Künste aus Anlaß ihres 300jährigen Bestehens organisierten Klangkunst-Festivals. Klanginstallationen, weit verstreut über die Stadt mit ihren augen- und ohrenbetäubenden Großbaustellen, sind da zu entdecken. Gebäude von derzeit transitorischem Nimbus wie das baufällige Haus der alten Akademie am Pariser Platz, ein ehemaliges Postfuhramt, die Sophiensäle oder das Weinhaus Huth, der letzte Hüter alter Bürger-Herrlichkeit am Potsdamer Platz vor der Umkrempelung durch debis und sony, sind unter Klang gesetzt.

Schon 1980 hatte die Berliner Akademie der Künste eine große Ausstellung organisiert mit Klangkunst Für Augen und Ohren. Damals war das (von René Block) eher historisch orientiert, man beschränkte sich auf den Raum der (West-) Akademie am Hanseatenweg selbst. Die Schau damals hatte große Wirkungen auf die Szene. Jetzt wird (mit Matthias Osterwold als verantwortlichem Programmierer) ein Querschnitt heutiger Arbeiten gezeigt. Die Kosten der relativ kurzfristig organisierten und überwiegend aus Lotto-Mitteln finanzierten Schau: 2,3 Millionen Mark. Mit der Plazierung der Klangobjekte an Brennpunkten der Umgestaltung soll das Transitorische dieser Art Klangkunst selber unterstrichen werden.

Ausgerechnet im ehemaligen Staatsratsgebäude hat sich Brian Eno mit einer generative roomscape genannten Installation eingenistet, dem System einer sich selbst regulierenden Soundlandschaft. Denn, sagt Eno: es gibt keine Systeme mehr, die zentral beherrschbar sind -seien es politische, musikalische, seien es Städte, sei es der Verkehr. Komplexe, lebendige Systeme kann man nicht mehr kontrollieren, sie kontrollieren sich selber. Man muß nur die richtigen Grundregeln entwerfen. Für seine musikalischen Systeme genügen drei Regeln: Wie man sie kreiert, wie man sie reduziert, wie man sie aufrechterhält.

Phonstärker, aber auch nicht ohne Biß geht’s eine Etage tiefer zu. Da hat Gunter Demnig ein hochofenartiges Monstrum aus orgelähnlichen Röhren von bis zu 18 Meter Länge installiert. Drei schwarze Türme nennt er seine wie ein gruftig verspätetes Requiem auf die Tonnenideologie im DDR-Repräsentativbau wirkende Klangskulptur. Eigentlich aber ging’s ihm um die Frage, was Klänge mit Menschen anstellen können, zumal solche, die man nicht mehr hören, sondern nur noch fühlen kann, unter der Hörbarkeitsgrenze. "Pfiffige Organisten nutzen das in der Kirche, um eine plötzliche Demut bei den Gläubigen zu erzeugen", hat er sich sagen lassen. "Und dann kam so´ne Schnapsidee, wenn das in der Kirche klappt mit 16 Hz, dann machen wir das doch mal mit 8 Hz im Museum. Und die Leute müßten vor der Kunst auf die Knie fallen." Tun sie natürlich nicht. Anderenorts gibt es ja auch Räume von fast absoluter Stille wie die HörRäume von Götz Lemberg, in dessen peepshowartigen Kabinen mit Minimalgeräuschen sich Demut wie von selbst herstellt. Oder es gibt Soundinseln wie Whirlwind von Laurie Anderson mit dem schirmenden Klangdach. Oder man kann dem von oberhalb der 20-kHz-Grenze kunstvoll herabtransferierten Grillenzirpen unterm Glasdach der alten Akademie nachlauschen in Ron Kuivilas pikoresker Hothouse-Installation. Eingeladen sind etwa hundert Künstler. Beim klanglichen Ostereiersuchen im Stolperparcours der Klangbaustelle Berlin kann man allerlei Spielereien bewundern wie Modellstraßenbahnen und ihr bohrendes Lärmen in Nicolas Collins When John Henry was a little baby, die ratternden Spielzeug-Roboter von Robert Jacobsen.

Eine Expertendiskussion versuchte zu klären, ob Klangkunst nun eine eigenständige Kunst sei oder die Erfüllung des synästhetischen Kunsttraums der Romantik, wiederaufgenommen von den Futuristen, Dadaisten über Satie, Cage, die Popart, Fluxus bis zum Techno. Einig wurde man sich bei dem Kolloquium nicht. Nur, klagte etwa Christina Kubisch, daß es in den heutigen Museen mit ihrer offenen Architektur eigentlich keine geeigneten Räume gibt für Ausstellungen solcher Klang-Plastiken. Was den Carillionisten Charlemagne Palestine zu der bissigen Frage veranlaßte, ob die Künstler sich lieber als Affen im Zoo fühlten oder als Entertainer.

Fast einen ganzen Monat lang kann man – inklusive Konzerte, Performances, Filmvorführungen – sich nun in Berlin sein eigenes Hörbild machen, kann Knöpfe drücken oder Handschlägel rühren wie die von Paul Fuchs Ballastsaiten-Instrumenten. Oder man kann in seinen am Pariser Platz errichteten großen Windzeiger lauschen, so immer auch rauskommt, was man hineinbläst oder -röhrt.

Bis 8. September. Katalog zur Ausstellungim Münchner Prestel-Verlag (Hrsg. Helga de la Motte), 304 Seiten, 45 DM.


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