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N i c o l a s C o l l i n s
"Ich bearbeite ausschließlich bereits vorhandene Stücke – einige Sachen sind allerdings leichter zu identifizieren als andere." Ob es nun ein Song von Roy Orbison ist, eine fehlerhafte CD mit italienischer Barockmusik, eine Rede von Reagan über den Krieg in Nicaragua oder die Platte eines befreundeten Improvisationsmusikers – Nicolas Collins bearbeitet sie elektronisch, um zu verzerren und um neues Leben in das Material anderer Künstler zu bringen. In einer Zeit, in der braves Sampling zur Routine geworden ist, zieht eine solche radikale Aneignung zunehmendes Publikumsinteresse auf sich.

Zu seinen transformierenden Arbeiten gehören die Umkehrgitarren, bei denen ein Eingangssignal (Radio, Tonband, elektronisches Spielzeug) die Saiten in harmonische Schwingungen versetzt; eine sampelnde, aber stotternde Computerschaltung, die in seiner Teufelsmusik die Signale des lokalen Radiosenders zerhackt; und als neueste Arbeit CD-Spieler, deren Pins zur Stummschaltung entfernt wurden, wodurch die gewöhnlich stillen Überspring- und Loopingvorgänge hörbar werden. Collins’ bekannteste Arbeit ist wahrscheinlich seine Sampling-Posaune (›trombone propelled electronics‹). 1986 nahm er ein einfaches Hallgerät auseinander, setzte das Innere in einen Mikrocomputer und baute die Bedienungsknöpfe in eine alte Posaune, die er für 12 Dollar beim Trödler erstanden hatte. In etwa vier- oder fünfmonatiger recht anstrengender Arbeit baute Collins sie zur ersten Echtzeit-Sampling- und Processing-Anlage um, mit der er Samples nehmen und sofort bearbeiten konnte, sei es mit Schleifen und/oder hinsichtlich ihrer Lautstärke, Tonhöhe und Klangfarbe. Sie sah noch so aus wie ein ›richtiges‹ Instrument: Das elegante Design verzichtete auf klobige Equipmentzusätze, Bedienungstastaturen und das lästige Laden von Computerdisketten.

Obwohl für ein spezielles Stück – Tobabo Fonio – entwickelt, eine eigenwillige Umarbeitung peruanischer Blaskapellenmusik, wurde das Posaunen-System zu einem sehr interessanten Instrument für Improvisationsmusik, das ihn mit Leuten wie John Zorn, Zeena Parkins und Christian Marclay zusammenbrachte.

"In den 80ern gab es eine erstaunliche Energie in der Improvisations-Musikszene in New York. Diese Leute waren ungeheuer aufnahmefähig. Ich vermute, sie interessierten sich auch deshalb für mich, weil ich nicht der 1000. Cello-Spieler auf Job-Suche war, sondern eben ein völlig ungelernter Instrumentalist. Ich wollte anfangs nur eine Schaltung bauen, ein Computerprogramm, das ein Stück macht. Das macht man eine Weile, und dann fängt man von vorne an, baut eine neue Schaltung und macht ein anderes Stück. Ich habe nur wenige Systeme entwickelt, die in mehr als einem Kontext funktionierten, und dieses gehört dazu; es stellt sich als eine Katze heraus, die schwer zu ertränken ist."

Phil England

aus: Phil England, ›Nicolas Collins brass deconstruction‹ in The Wire, September 1993


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